Aneinander wachsen in Beziehung
Stell dir vor, deine Seele ist ein Wollknäuel aus wunderschöner, strahlend weißer Wolle. Das Leben auf der Erde ist ein bunter Farbtopf, der sich in unendlich vielen Nuancen und ebenso vielen Ereignissen ergießt. Wenn du auf die Erde kommst, dann beginnt sich dein Wollknäuel langsam oder schnell zu ent-wickeln. Wicklung für Wicklung spult es sich in deinem Leben ab und der vorher so weiße Faden wird bunt und lebendig.
Die Entwicklung ist sehr rasant in der Kindheit und verlangsamt sich im Erwachsenenalter nur geringfügig, wenn wir als Mensch offen für Neues bleiben und unsere Persönlichkeit, unser sogenanntes Ego, nicht allzu ERNST nehmen.
Ernst entsteht aus Angst und macht eng. Ernst ist die Reaktion einer ängstlichen Psyche, welche ihr Liebespotential nicht entwickelt hat und unsere Ent-wicklung stagnieren lässt. Offenheit und Entspannung sind das Gegenteil von steifer, ernster Lebens-Kontrolle und lassen uns im Leben freudig voranschreiten.
Im Idealfall hört unsere Entwicklung und unser Lernen nie auf, weil Leben Veränderung bedeutet und wir uns mit ihm verändern müssen, wenn wir in Resonanz mit unserer Seele bleiben wollen. Und weil es großen Spaß macht, immer neue Erkenntnisse, Projekte und Ideen zu entwickeln, auch wenn wir sie natürlich nicht alle umsetzen können.
In Beziehungen kann gerade diese wundervolle Entwicklung zu starker Reibung und sogar zu Trennung führen, wenn sich beide Partner in unterschiedliche Richtungen entwickeln oder ein Partner einfach wesentlich schneller beim einfärben seines Wollknäuels als der andere ist.
Das ist problematisch, denn Beziehung ist ein Resonanzphänomen. Ohne mit dem Partner in Resonanz zu sein, gibt es keine gemeinsamen Ideen und Projekte, keinen schönen Sex, keine entspannten Urlaube und keinen freudigen Alltag. Wenn du also plötzlich beginnst, dich für völlig neue Lebensthemen zu interessieren, neue Freunde kennenzulernen und neue Entwicklungsstufen zu erklimmen, dann kommt dein Partner eventuell nicht mit, weil es seine gewohnte und erprobte Lebensweise bedroht.
Oft trennen sich während dieser Übergänge auf eine neue Bewusstseinsebene die Partner und finden beide eine neue Beziehung, die besser zur derzeitigen Lebensphase passt. Manchmal kann der sich langsamer entwickelnde Partner aber auch aufholen. Die Beziehung kann auf einer neuen Ebene fortgesetzt werden, wenn die Verletzungen in der Dissonanz-Phase nicht zu groß waren.
Wenn du in deiner Entwicklung deinem Partner voraus bist, dann lass dich nicht in alten Mustern festhalten und zurückziehen. Du bist richtig, weil die Entwicklung zu mehr Freude und Liebe immer der richtige Weg ist. Auch wenn es deinem Partner Angst macht und er vielleicht noch fester wird in seiner Verweigerung.
Für das Ego steht Sicherheit und Überleben an erster Stelle, selbst wenn dafür die Beziehung geopfert werden muss. Für das Herz ist aber Verbindung und Liebe wichtig, es will sich ausdehnen und entwickeln. Diese beiden grundverschiedenen Richtungen können zu einer Trennung der Wege führen. Oder zu einer Vereinigung, wenn sich beide Partner bewusst werden, dass sie ein liebendes Herz UND einen kritischen Verstand in sich tragen.
Resonanz und Wachstum sind im Grunde ziemlich einfach, wenn wir verstehen, dass die Beziehung nur das polarisierte Drama darstellt, in dem sich beide Partner selbst befinden und welches sie durch die Dramatisierung im Außen erkennen können.
Diese Polarisierung manifestiert sich in komplementären Verhaltensmustern, bei denen jeder Partner ein Extrem des gemeinsamen Themas verkörpert. So kann beispielsweise ein Partner die Rolle des „Abhängigen“ einnehmen, der nach ständiger Nähe und Bestätigung sucht, während der andere die Position des „Unabhängigen“ vertritt, der Autonomie und Freiraum betont. Beide Partner beschäftigen sich im Kern mit derselben Herausforderung – der Balance zwischen Verbundenheit und Individualität – drücken diese jedoch auf scheinbar gegensätzliche Weise aus.
Diese Dynamik bietet eine gute Gelegenheit für persönliches Wachstum und Selbsterkenntnis. Indem wir erkennen, dass unser Partner oft die Aspekte unserer selbst widerspiegelt, die wir unterdrückt oder nicht integriert haben, können wir beginnen, diese Teile in uns selbst zu akzeptieren und zu entwickeln. Der „abhängige“ Partner kann lernen, seine eigene Stärke und Autonomie zu kultivieren, während der „unabhängige“ Partner seine Fähigkeit zur emotionalen Verbundenheit vertiefen kann. Durch diesen Prozess der gegenseitigen Spiegelung und Integration bewegen sich beide Partner auf eine ganzheitlichere, ausgewogenere Beziehung zu, in der beide Pole – Nähe und Distanz, Abhängigkeit und Unabhängigkeit – in einem harmonischen Gleichgewicht existieren können.
Wenn du dieses Buch liest, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du derjenige Partner bist, der sich schneller weiterentwickelt und unabhängiger ist. Es ist für dich vielleicht wichtig zu wissen, dass diese schöne Entwicklung deinem Partner auch Angst machen kann. Er weiß nicht, ob du ihn morgen noch lieben wirst, wenn du viele Schritte im Leben weiter gegangen bist als er. Er ahnt nicht, was in deinem Leben noch ansteht, jetzt wo alles anders ist und die alten Pläne und Abmachungen hinfällig sind.
Evolution geht immer nach vorne, zu mehr Schönheit und Liebe. Alte Ideen von Begrenzung und Angst fühlen sich eng an für den, der sich weiterentwickelt hat. Freiheit und Liebe wiederum fühlen sich bedrohlich für den Partner an, der an Altem festhält und Angst hat, etwas Sicheres und Vertrautes zu verlieren. Das ist ein Konflikt, der schon viele Beziehungen beendet hat, weil er sich unüberwindbar anfühlt.
Lustiger- oder eher trauriger-weise kommt es meist nach der Trennung bei dem ängstlichen Partner zu einem massiven Entwicklungsschub. Manchmal überholt er sogar den zuvor weiter entwickelten Partner. Warum ist das so?
Ganz einfach: Im Alleinsein ist es nicht mehr möglich die eigene Stärke und die eigene Freude am Wachstum auf den Partner zu projizieren. Das Alleinsein zwingt uns förmlich die eigenen Potentiale zu entwickeln, wenn wir wir wirkliche wieder Spaß am Leben haben wollen. Und auch, wenn wir wieder einen neuen Partner anziehen wollen.
Wie wir in der Welt deutlich sehen können, ist aber nicht jeder an einer Entwicklung zu mehr Liebe und Offenheit interessiert. Manche Menschen haben Angst davor, ihre schöne weiße Wolle bunt und schmutzig zu machen und ziehen sich deshalb in sich selbst zurück. Meist haben sie in der Kindheit keine guten Entwicklungs-Erfahrungen gemacht. Ihren Eltern war das wilde Herumflitzen und Fitzen ihrer kleinen Wollknäuel vielleicht zu viel. Es hat sie an ihre eigene, ungelebte Lebendigkeit erinnert, oder an ihr eigenes inneres Kind, das nie so richtig bunt herum-knäulen durfte.
Wenn dein Partner also Angst davor hat, die Freuden und Schmerzen des Lebens gänzlich zu fühlen, dann kannst du ihm das Problem darlegen und ihn in seiner Entwicklung ermutigen. Hier sind einige praktische Schritte, die du unternehmen kannst:
1. Offene Kommunikation: Sprich mit deinem Partner über deine Entwicklung und deine Gefühle. Höre ihm auch aufmerksam zu und versuche, seine Ängste zu verstehen.
2. Gemeinsame Aktivitäten: Lade deinen Partner ein, an einigen deiner neuen Interessen teilzunehmen. Vielleicht findet ihr etwas, das ihr beide genießt und das euch gemeinsam wachsen lässt.
3. Respektiere das Tempo: Akzeptiere, dass dein Partner möglicherweise ein anderes Entwicklungstempo hat. Übe Geduld und Verständnis.
4. Selbstreflexion: Nutze Meditation oder Journaling, um deine eigenen Gefühle und Motivationen besser zu verstehen.
5. Professionelle Hilfe: Eine Paartherapie kann beiden Partnern helfen, ihre Entwicklungswege besser zu verstehen und in Einklang zu bringen.
In der Zwischenzeit kannst du dich selbst weiterentwickeln und zu dem werden, was du von deinem Partner erwartest. Wenn du deine Entwicklungsschritte konsequent gehst, dann kann dein Partner nur aufholen oder die Beziehung verlassen. Die Resonanz lässt nur diese beiden Möglichkeiten zu.
Erinnere dich immer daran: Dein Lebensfaden ist einzigartig und wertvoll. Jede Erfahrung, jede Herausforderung und jede Freude fügt deinem Wollknäuel eine neue, wunderschöne Farbe hinzu. Umarme diese Entwicklung, denn sie macht dich zu dem facettenreichen, liebevollen Wesen, das du bist. Und wer weiß – vielleicht inspirierst du durch dein Beispiel auch deinen Partner dazu, seinen eigenen Faden mutiger und bunter zu gestalten.