Warum gesunde Grenzen in Beziehung wichtig sind
Grenzen sind für die Liebe ebenso wichtig wie Verbindung. Sie bilden die Basis, auf der sich eine Liebesbeziehung gesund entwickeln kann. Ohne Grenzen ist es schwer, sich wirklich in einer Beziehung fallen zu lassen. Erst durch stabile Grenzen und angemessene Abwehrmechanismen erlangen wir die notwendige Sicherheit, in der sich Liebe entfalten kann.
Die Wichtigkeit von sicheren Grenzen für ein Beziehungssystem, lässt sich leicht erkennen: Alle ineinander verschachtelten Systeme unserer Existenz haben klare Grenzen, die sich nur für Erwünschtes öffnen und für Unerwünschtes geschlossen bleiben.
Dieses Prinzip beginnt bereits beim Atom, das sich durch energetische Abstoßung von seinem Nachbar-Atom abgrenzt und sich durch Anziehung dennoch mit anderen Atomen verbindet, um Moleküle zu bilden. Jede Zelle unseres Körpers hat eine Zellwand, die ihr hilft, Erwünschtes einzulassen und Unerwünschtes abzustoßen. Unser Körper hat eine Haut und ein komplexes Immunsystem, um sich von der Außenwelt abzugrenzen und trotzdem Nahrung und Luft aufzunehmen. Jedes Haus, in dem wir wohnen, hat Türen und Fenster, um uns einen sicheren Rahmen zu bieten und nur erwünschte Menschen und Licht hereinzulassen. Jedes Land hat Grenzen, damit es eine eigene Identität und Wirtschaft haben kann und Schutz vor ungewollten Einflüssen möglich wird.
Diese Beispiele zeigen, dass flexible, halboffene Grenzen notwendig sind, damit sich individuelles Leben in all seiner Komplexität entfalten kann. Ohne Grenzen gibt es keine Persönlichkeit, keine Evolution, keine Beziehungen – kein Leben, wie wir es kennen. Ohne Grenzen wäre Bewusstsein nur ein Feld von Potential. Ohne Grenzen wäre dieses universelle Spiel von abgetrennten Atomen, Molekülen, Körpern, Ländern, Planeten und Galaxien nicht möglich, weil alles nur ein Haufen von Energie wäre, ähnlich wie es dem Universum kurz nach dem Urknall zugeschrieben wird.
Stabile Grenzen sind also nicht nur die Basis von Liebe und Beziehung, sie sind auch die Grundvoraussetzung dafür, dass es überhaupt ein Universum gibt, in dem dieses Spiel stattfinden kann.
Woher kommt also die romantische Idee, dass Liebe und Beziehung grenzenloses Ineinanderfließen bedeuten?
Nun, das hat viel damit zu tun, dass unser seelisches Bewusstsein aus dieser Einheit der Liebe stammt, jenseits von Raum und Zeit, jenseits von Universum und Materie. Vor und nach diesem irdischen Leben und auch in jedem Moment dazwischen sind wir in der Einheit der Liebe zu Hause und träumen davon, diese Einheit und Liebe auch in die Dualität unserer Liebes-Beziehungen einbringen zu können. Das ist ein Stück weit auch möglich, aber nicht allzu sehr, weil vollständige Einheit ja die Dualität aufheben würde
Oft verbinden wir mit Liebe auch die Grenzenlosigkeit, wie sie ein Baby im Mutterleib und in den ersten Lebensmonaten erfährt. Diese Verschmelzung ist absolute Liebe – sie ist wundervoll, sicher und beglückend. Sie ist die Einheit, die wir vor und nach der Geburt erlebt haben und zu der wir uns oft zurücksehnen, vor allem in Beziehungen, die anfänglich sehr symbiotisch waren, sich dann aber zu einer anderen Form der Verbundenheit wandeln.
Alles, was auf dieser Erde lebt, ist einem Zyklus unterworfen. Alles wächst, gedeiht für eine Weile und vergeht am Ende wieder. Unsere Psyche, unsere Beziehungen und unsere Gesellschaften tun es ebenso. Und so wandelt sich auch die Liebe in Beziehungen von einer
– symbiotisch abhängigen Liebe (kindlich)
– zu einer wilden fordernden Liebe (jugendlich)
– zu einer starken pragmatischen Liebe (erwachsen)
– zu einer stillen nährenden Liebe (reif)
– zu einer unendlich ewigen Liebe (nach dem Loslassen des Körpers)
Natürlich vollzieht sich dieser natürliche Zyklus nur, wenn alles gut geht und die Beziehungspartner es wagen, die jeweils passenden Schritte zu gehen und auch Grenzen zu setzen, wenn es nötig ist.
Die menschliche Entwicklung geht von totaler Verschmelzung hin zu immer mehr Freiheit, Selbständigkeit und einem Gefühl von „Ich bin ich und die anderen sind die anderen“. Dazu braucht es klare Grenzen, sonst fühlt sich der Mensch verloren in einer Welt der Gegensätze. Natürlich sollte die Entwicklung weitergehen, zu tiefer Verbundenheit mit der seelisch-geistigen Welt, doch auch hier braucht es wieder Grenzen, um von der Einheit ins menschlich-körperliche Leben zurückzukehren.
Grenzen sind in allen Lebensbereichen wichtig. In der Ernährung bringen sie uns dazu, förderliche Nahrung zu essen und uns gegen ungesundes Junkfood abzugrenzen. Unseren Geist sollten wir mit Schönheit, Intelligenz und Logik nähren, statt ihn mit oberflächlichen oder angstmachenden Inhalten zu belasten. Auch bei den Menschen, die wir in unser Leben lassen, müssen wir klare Grenzen setzen, um nicht ausgenutzt oder verletzt zu werden.
Natürlich wäre es schön, in einer Welt zu leben, in der es keine Gewalt gibt, in der sich nur Regenbögen biegen und Schmetterlinge schmettern, in der die Flüsse, Meere, Wälder und Felder sauber sind und die Tiere in Freiheit leben dürfen. Doch diese Welt haben wir uns als Menschheit durch skupellosen Egosimus leider selbst verbaut. Nun ist es an der Zeit, dass jeder Mensch klare Grenzen setzt und nein sagt zu Ausbeutung der Natur, zu Willkür von Machthabenden und auch zu einem Partner, dessen Gleichgewicht von Geben und Nehmen gestört ist.
Die Frage, die bleibt, ist: Wie kann ich meine Grenzen liebevoll setzen, ohne dass sich mein Gegenüber beleidigt fühlt? Wie kann ich mein Selbst behaupten und meine Wünsche ernstnehmen, wenn mein Partner etwas ganz anderes braucht und erwartet? Wie kann ich mein Leben leben, auch wenn meine Wünsche mit denen des Kollektivs kollidieren?
Wenn man es mit einem erwachsenen Gegenüber zu tun hat, kann man versuchen, mit Logik an den Verstand zu appellieren. Das klappt ganz gut, solange die Diskrepanz der Bedürfnisse und Lebensentwürfe nicht allzu groß ist. Wenn das Gegenüber sich in der Beziehung aber vernachlässigt und fehl am Platze fühlt, dann nützt Logik wenig, denn dann springt der menschliche Überlebensmechanismus an. Das ist auch in Ordnung, denn dann kann im Gespräch eine klare Grenze gezogen werden, die man später weiter aushandeln kann, wenn der klare Menschenverstand wieder einsetzt.
Grenzen sind etwas Instinktives. Sie sind in einem gesunden, naturverbundenen, zu sich selbst stehenden Menschen stark und deutlich vorhanden. Sie können aber auch in früher Kindheit aberzogen, durch Schule und Ausbildung untergraben und durch mediale Überflutung verwaschen werden.
Menschen, die ihre Grenzen verloren haben, fühlen sich oft orientierungslos und unerfüllt. Sie wissen nicht mehr, wer sie sind, was sie wirklich wollen und wo sie das Glück verloren haben. Sie haben Schwierigkeiten, eine eigene Meinung zu bilden und zu vertreten. Ihre Beziehungen können oberflächlich werden, und die Lust und Lebendigkeit, die aus der frei fließenden Energie der Liebe im Körper entstehen, können versiegen.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns wieder auf unsere natürlichen Grenzen besinnen, sie pflegen und stärken. Nur so können wir authentisch leben, liebevolle Beziehungen führen und unseren Beitrag zu einer gesunden Gesellschaft leisten. Grenzen zu setzen bedeutet nicht, sich abzuschotten, sondern vielmehr, sich selbst zu achten und dadurch auch anderen mit Respekt und Offenheit begegnen zu können.