4 Bindungsstile und ihre Wirkungen in Beziehung

Ein bunter Drachen, der hoch am Himmel tanzt – so könnte man dein liebendes Herz in Beziehung beschreiben. Was hält deine Drachen-Herz dort oben? Was gibt ihm die Freiheit zu fliegen und gleichzeitig die Sicherheit, nicht davonzuschweben? Es sind die unsichtbaren Fäden unserer Bindungen. Und wie diese sich genau verhalten, regelt unser Bindungsstil.

„Der Mensch ist des Menschen Medizin.“ – Afrikanisches Sprichwort

Dieses alte Sprichwort trifft den Nagel auf den Kopf. Wir Menschen sind soziale Wesen, verwoben in einem komplexen Netz aus Beziehungen. Hast du dich je gefragt, warum manche von uns in diesem Netz zu tanzen scheinen, während andere sich darin verfangen? Nun, hier kommen unsere Bindungsstile ins Spiel – jene tief verwurzelten Muster, die bestimmen, wie wir Nähe, Liebe und Verbundenheit erleben und gestalten. Diese Muster entstehen in unserer frühen Kindheit und prägen oft unser gesamtes Leben – von Liebesbeziehungen über Freundschaften bis hin zu beruflichen Kontakten.

Die Bindungstheorie, begründet von John Bowlby in den 1950er Jahren und später von Mary Ainsworth weiterentwickelt, bildet das Fundament unseres Verständnisses von Bindungsstilen. Bowlby erkannte: „Die Art, wie Eltern mit ihrem Kind umgehen, besonders in den ersten Jahren, ist von entscheidender Bedeutung für dessen spätere geistige Gesundheit.“

In den ersten Lebensjahren entwickeln Kinder innere Arbeitsmodelle von Beziehungen. Diese Modelle basieren auf den Erfahrungen mit ihren Bezugspersonen und formen die Grundlage für spätere Beziehungsmuster. Sie beinhalten Erwartungen darüber, wie verlässlich andere Menschen sind und wie liebenswert wir selbst sind.

Ursprünglich wurden drei Hauptbindungsstile gefunden: sicher (gesund, stabil), ängstlich-ambivalent (bedürftig, klammernd) und vermeidend (autonom, distanziert). Später kam der desorganisierte Bindungsstil (chaotisch, widersprüchlich) hinzu. Eine Langzeitstudie von Hazan und Shaver (1987) zeigte, dass diese Stile oft bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben und unsere romantischen Beziehungen beeinflussen.

Bindungsstile sind zwar früh erlernt, müssen aber nicht in Stein gemeißelt sein. Obwohl sie tief verwurzelt sind, können sie sich durch bedeutsame Erfahrungen, Therapie oder bewusste Arbeit an sich selbst verändern. Viele Menschen zeigen auch Merkmale verschiedener Bindungsstile, je nach Situation oder Beziehung.

Die Kenntnis des eigenen Bindungsstils und des Stils von Partnern oder engen Freunden kann zu einem tiefen Verständnis von Beziehungsdynamiken führen. Wie der Psychologe Dr. Sue Johnson betont: „Wenn wir verstehen, wie unsere frühesten Bindungen unser aktuelles Verhalten beeinflussen, können wir bewusster und effektiver in unseren Beziehungen agieren.“

In den folgenden Abschnitten werden wir die vier Hauptbindungsstile – sicher, ängstlich-ambivalent, vermeidend und desorganisiert – genauer betrachten. Wir untersuchen ihre Ursprünge in der Kindheit, ihre Ausprägungen im Erwachsenenalter und ihre Auswirkungen auf Beziehungen. Jeder Stil wird durch ein Praxisbeispiel veranschaulicht, um ein besseres Verständnis für diese Bindungsmuster im Alltag zu vermitteln.

Wenn du dich mit den Beziehungsstilen auskennst, kannst du tieferes Verständnis für dich und deinen Partner entwickeln und mehr Mitgefühl für dein inneres Kind bekommen, welches die schrägen Muster in höchster Kindlicher Not entwickeln musste.

1. Sicherer Bindungsstil

Die gesunde Beziehung, Ausgeglichen, Stabil, Vertrauensvoll, Resilient

Der sichere Bindungsstil gilt als der gesündeste und adaptivste der vier Bindungsstile. Menschen mit diesem Stil haben in ihrer Kindheit konsistente, liebevolle und aufmerksame Betreuung erfahren. Dies führt zu einem grundlegenden Vertrauen in sich selbst und andere, was sich positiv auf alle Lebensbereiche auswirkt.

Fallbeispiel: Lisa, 32, wuchs in einem liebevollen Elternhaus auf. Ihre Eltern waren stets für sie da, reagierten einfühlsam auf ihre Bedürfnisse und ermutigten sie, die Welt zu erkunden. Als Erwachsene fällt es Lisa leicht, enge Beziehungen zu führen. Sie fühlt sich wohl damit, um Hilfe zu bitten, wenn sie sie braucht, und kann gleichzeitig gut allein sein. In ihrer Partnerschaft kommuniziert sie offen über Gefühle und Bedürfnisse. Konflikte sieht sie als Chance zur Weiterentwicklung der Beziehung.

Ursache:

  • Konsistente, liebevolle und aufmerksame Betreuung in der Kindheit
  • Eltern, die auf die Bedürfnisse des Kindes angemessen reagieren

Merkmale:

  • Gesundes Selbstwertgefühl
  • Fähigkeit, enge Beziehungen zu führen
  • Gute Balance zwischen Nähe und Autonomie

Heilung:

  • In der Regel nicht erforderlich, da dies der gesündeste Bindungsstil ist

2. Bedürftiger Bindungsstil

Klammernd, Ängstlich, Anhänglich, Unsicher-verstrickt, Abhängig, Unterlegen

Der ängstlich-ambivalente Bindungsstil entwickelt sich oft, wenn Kinder inkonsistente oder unzureichende Fürsorge erfahren. Diese Erfahrungen führen zu einer tiefsitzenden Unsicherheit und dem ständigen Bedürfnis nach Bestätigung in Beziehungen. Menschen mit diesem Bindungsstil haben gleichzeitig einen starken Wunsch nach Nähe und eine tiefe Angst vor dem Verlassen-werden.

Fallbeispiel: Markus, 28, hatte eine Mutter, die emotional abwesend war und ihn als Baby schon nach wenigen Monaten in die Kindergrippe gab, um wieder arbeiten zu können. Sein Vater war auch beruflich oft unterwegs. Als Erwachsener fällt es Markus schwer, seinen Partnern zu vertrauen. Er sucht ständig nach Bestätigung und hat Angst, verlassen zu werden. In Beziehungen neigt er dazu, zu „klammern“ und wird schnell eifersüchtig. Gleichzeitig hat er Schwierigkeiten, seine eigenen Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen, aus Angst, den anderen zu verärgern und möglicherweise zu verlieren.

Ursache:

  • Inkonsistente oder unzureichende elterliche Fürsorge
  • Fehlende emotionale Verfügbarkeit der Eltern
  • Unberechenbare Reaktionen auf kindliche Bedürfnisse
  • Vernachlässigung oder mangelnde Zuwendung in der Kindheit

Merkmale:

  • Starkes Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung
  • Angst vor Verlassen werden
  • Tendenz zur Überabhängigkeit

Heilung:

  • Entwicklung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Erlernen gesunder Grenzen in Beziehungen
  • Therapie zur Aufarbeitung vergangener Erfahrungen
  • Üben von Selbstständigkeit und Eigenständigkeit

3. Vermeidender Bindungsstil

Unabhängig, Distanziert, Selbstgenügsam, Autonom, Überlegen, Überheblich

Der vermeidende Bindungsstil entsteht oft als Reaktion auf übermäßig kontrollierende, sich ständig einmischende oder emotional fordernde Helikopter Eltern. Kinder lernen in solchen Umgebungen, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und entwickeln eine Art „Allergie“ gegen zu viel Nähe und Einmischung. Als Erwachsene streben sie nach Unabhängigkeit und haben Schwierigkeiten, emotionale Intimität zuzulassen.

Fallbeispiel: Sarah, 35, wuchs mit einer überfürsorglichen Mutter auf, die ständig in ihr Leben eingriff und ihre Gefühle als Quelle der eigenen emotionalen Erfüllung nutzte. Ihr Vater war streng und erwartete stets Perfektion. Als Erwachsene hat Sarah Schwierigkeiten, enge emotionale Bindungen einzugehen. Sie schätzt ihre Unabhängigkeit sehr und fühlt sich unwohl, wenn andere zu viel Nähe oder emotionale Unterstützung von ihr erwarten. In Beziehungen neigt sie dazu, sich zurückzuziehen, wenn es zu intim wird, und hat Schwierigkeiten, ihre Gefühle auszudrücken.

Ursache:

  • Übermäßig kontrollierende oder einmischende Eltern
  • Strenge Disziplin und zu viele Regeln in der Kindheit
  • Eltern (meist Mütter), die das Kind als Quelle emotionaler Erfüllung nutzen
  • Überfürsorglichkeit oder emotionales Überengagement der Eltern

Merkmale:

  • Starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit
  • Schwierigkeiten, Gefühle zu zeigen oder Nähe zuzulassen
  • Tendenz, sich in Beziehungen zurückzuziehen
  • „Allergie“ gegen zu viel Einmischung und Nähe

Heilung:

  • Üben, Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken
  • Lernen, Nähe und Intimität zuzulassen
  • Vertrauensaufbau in Beziehungen
  • Erkennen des Wertes von emotionaler Verbundenheit
  • Entwicklung gesunder Grenzen

4. Chaotischer Bindungsstil

Desorganisiert, Unberechenbar, Anziehen-Wegstoßen, Widersprüchlich

Der desorganisierte Bindungsstil ist oft das Ergebnis von traumatischen Erfahrungen oder stark dysfunktionalen Familienverhältnissen in der Kindheit. Kinder, die in bedrohlichen oder stark vernachlässigenden Umgebungen aufwachsen, entwickeln keine konsistente Strategie, um mit Stress und Beziehungen umzugehen. Dies führt zu widersprüchlichem Verhalten und Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation im Erwachsenenalter.

Fallbeispiel: Tom, 40, wuchs in einer Familie mit einem alkoholabhängigen, gewalttätigen Vater und einer depressiven Mutter auf. Als Kind erlebte er unberechenbare Situationen von Vernachlässigung und Missbrauch. Als Erwachsener hat Tom große Schwierigkeiten, stabile Beziehungen aufzubauen. Sein Verhalten in Beziehungen ist oft widersprüchlich – manchmal sucht er verzweifelt nach Nähe, dann wieder stößt er Menschen abrupt von sich. Er hat Probleme, seine Emotionen zu regulieren und neigt zu impulsivem Verhalten. In Stresssituationen fühlt er sich oft „eingefroren“ oder dissoziiert.

Ursache:

  • Traumatische Erfahrungen oder missbrauchende Bezugspersonen
  • Stark vernachlässigende oder bedrohliche Umgebung in der Kindheit
  • Eltern mit eigenen unverarbeiteten Traumata

Merkmale:

  • Widersprüchliches Verhalten in Beziehungen
  • Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation
  • Probleme, konsistente Beziehungsmuster zu entwickeln

Heilung:

  • Traumatherapie
  • Erlernen von Emotionsregulation
  • Aufbau eines sicheren Umfelds und stabiler Beziehungen
  • Entwicklung von Konsistenz in Beziehungen

Welchem Beziehungsstil ordnest du dich zu? Ich persönlich fand mich in der Vergangenheit meist in dem bedürftigen Bindungsstil wieder, vor allem, wenn ich Freundinnen hatte, die selbst sehr autonom waren und viel Freiheit wollten. Dann sprang mein altes Muster an, welches ich schon mit meiner Mutter als Kind lange praktiziert hatte, um sie von ihrer Arbeit wegzuholen und an mich zu binden: Ich wurde einfach krank, weil der andere dann gar nicht anders kann, als sich um mich zu kümmern. Bei meiner Mutter hat das funktioniert. bei meinen Freundinnen eher nicht, weil sie einen starken Mann und keinen Pflegefall als Partner wollten. Als mir dieses Muster im fortgeschrittenen Alter irgendwann bewusst wurde, war das AHA Erlebnis so stark, das ich das Muster endgültig loslassen konnte. Heute versuche ich so klar wie möglich zu kommunizieren und von Anfang an klare Abmachungen und Grenzen in der Beziehung zu etablieren.

 

ER-WACHSEN IN BEZIEHUNG